Nachtwächters Ralf Blog

Nachtwächter Ralfs Blog | Vergessene Geschichte(n), spannende Anekdoten und Neues aus dem historischen Luzern.

Das Berufsethos des Nachrichters

Das Aufziehen oder die Streckfolter, Zentralbibliothek Zürich
Das Aufziehen oder die Streckfolter, Zentralbibliothek Zürich

Wie jeder gute Handwerker war auch der Scharfrichter bemüht, saubere Arbeit zu leisten. Gefoltert werden durfte nur so weit, wie es zweckdienlich war – nicht tödlich. Der Nachrichter musste peinlich darauf achten, dass die Gefolterten nicht starben, damit sie der gerechten Strafe zugeführt werden konnten.

Nötigenfalls hatte er sie sogar zu verarzten, wodurch er sich medizinisches Wissen aneignete.



Luzerner Schilling, 1513, Folio 210r (425). Ein Knecht, der die Stadt an die Franzosen verraten wollte, wird grausam gevierteilt (1500)
Luzerner Schilling, 1513, Folio 210r (425). Ein Knecht, der die Stadt an die Franzosen
verraten wollte, wird grausam ausgedärmt gevierteilt (1500)

Während Ärzten zu jener Zeit das Sezieren verboten war, erlangten die Nachrichter umfangreiche Kenntnisse in Anatomie und Heilkunde. Dieses Wissen gaben sie an ihre Söhne weiter.

Ein Meister Leonard Vollmar war es, der 1782 in Glarus Anna Göldi aus dem Sennwald als letzte „Hexe“ enthauptete. Meister Vollmar bat die Gnädigen Herren damals, man möge ihm gestatten, seinen 19-jährigen Sohn mitzunehmen, „der gerne lernen möchte, wie die Sache vor sich gehe“.

Die höchste und ehrenvollste Aufgabe des Nachrichters war die Kunst der Schwertenthauptung.
Diese musste mit einem einzigen Schlag erfolgen, der den Kopf vollständig vom Rumpf trennte – so, dass ein Wagenrad dazwischen hindurchfahren konnte. Die Söhne der Nachrichter übten dies an Tieren.

Ein guter Nachrichter war sich der Schwere seiner Aufgabe bewusst und führte sie sachlich, ernst und nach festgelegtem Ritual aus.



Der große Auftritt

Die Enthauptung des heiligen Mauritius, Ausschnitt Martiniplan 1597


Man stelle sich vor: Hunderte von Menschen wohnen der Hinrichtung bei. Der Richter, der Nachrichter und der Verurteilte stehen erhöht auf dem Kallenberg (Schafott).

Der Nachrichter legt die Hand auf die Schulter des Verurteilten und fordert ihn auf, niederzuknien.

Dann stellt er sich hinter ihn halblinks, macht einen Ausfallschritt nach rechts und hebt das Richtschwert.

Das ist der Moment des Nachrichters.

Hunderte Augen sind auf ihn gerichtet.
Totenstille.
Er atmet tief aus, die Muskeln spannen sich, das Adrenalin schießt durch seinen Körper.

Er blickt zum Ratsrichter.
Ein Nicken.

Dann 

  • Sssfffffft.
  • Ein fast unhörbares Pfeifen zerschneidet die Luft.
  • Tschack.
  • Ein kurzes, feuchtes Geräusch. Der Körper sackt zusammen.
  • Dock – – Dock – Dock.
  • Das dumpfe Poltern des abgeschlagenen Kopfes über den Kallenberg.

Die Menge schreit und jubelt. Für den Nachrichter ist es ein Rausch.
Jetzt ist er der König – für einen Moment der absolute Superstar.
Er genießt diesen Augenblick, wohl wissend, dass er im nächsten wieder der Ehrloseste unter den Ehrlosen sein wird: der Geächtete, der Ausgestoßene.


Quellen:

  • Schild, Wolfgang, Alte Gerichtsbarkeit: Vom Gottesurteil bis zum Beginn der modernen Rechtsprechung, München: Callwey Verlag, 1980.
  • Huggel, Doris: Aus: Richtstätte und Wasenplatz in Emmenbrücke. Band II. (Hrsg Jürg Manser)
  • Die Schweizer Bilderchronik des Luzerner Diebold Schilling (Luzerner Schilling) 1513 und Kommentarband, 1981, Alfred A. Schmid (Hrsg.)
  • Historisches Lexikon der Schweiz. https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016389/2003-09-01/
  • Henggeler, Pater Rudolf, Der Geschichtsfreund Band 113, 1960
  • und eigene Recherchen




Ludwig Pfyffer von Althishofen, der "Schweizerkönig"

Künstler unbekannt, Original: Schloss Heidegg, vermutlich posthum gemalt.

Das alte Luzern erreichte seinen politischen und wirtschaftlichen Zenith etwa im späten 16. Jahrhundert, zur Zeit Ludwig Pfyffers von Altishofen. In dieser Epoche war Luzern das führende Zentrum der katholischen Innerschweiz. und spielte eine bedeutende Rolle in der Konfessionalisierung der Eidgenossenschaft nach der Reformation.

Gründe für Luzerns Blütezeit:

  • Politische Dominanz: Luzern war führend im katholischen Lager der Eidgenossenschaft und spielte eine Schlüsselrolle in der katholischen Allianz, der späteren Borromäischen Liga.

  • Einflussreicher Machtmensch: Ludwig Pfyffer war Schultheiss von Luzern und gleichzeitig Oberst der Schweizertruppen in Frankreich – sein Einfluss reichte weit über die Stadt hinaus.

  • Wirtschaftlicher Aufschwung: Durch Söldnerdienste und französische Pensionen floss viel Geld nach Luzern. Auch der Handel, vor allem mit Tuch, blühte.

  • Kulturelle und religiöse Stärkung: Die Jesuiten wurden 1574 auf Initiative Pfyffers nach Luzern geholt, was der Stadt eine zentrale Rolle in der Gegenreformation verschaffte (z. B. Gründung des Jesuitenkollegs).


Der „Schweizerkönig“ – Eine Figur größer als das Leben

Ob der Titel spöttisch oder bewundernd gemeint war, spielt keine Rolle mehr. Pfyffer verkörperte ihn mit Leib und Seele: Als Schultheiss, Bannerherr, Oberst und Ritter stieg er zur prägenden Figur seiner Zeit auf.


Reichtum, Familie, Einfluss

Ein florierender Handel mit Stoffen brachte ihm beträchtlichen Wohlstand. Seine Familie, jung, aber aufstrebend, verschaffte ihm Zugang zu hohen Ämtern. Unterstützt von Verwandten, die ihre Macht geschickt ausspielten, konnte er auch während seiner Abwesenheit in fremden Diensten seine Stellung sichern.


Karriere in Frankreich – Vom Söldner zum Oberbefehlshaber

Pfyffers Glück war ebenso konstant wie sein Ehrgeiz. In Frankreich öffneten ihm die Tode seiner Vorgesetzten den Weg an die Spitze der Schweizer Truppen im Ausland. Dort stieg er zum wichtigsten Offizier auf – und zum engen Vertrauten des Königs. Seine Tapferkeit, seine körperliche Stärke und seine Führungsqualitäten machten ihn zur Legende. Als er den König in Meaux aus feindlicher Umklammerung befreite, erreichte sein Ruhm neue Höhen.


Intrigen, Machtspiele und immense Reichtümer

Zuhause versuchte man, ihn zu stürzen – vergebens. Sein Einfluss war unantastbar. Die Dienste für fremde Mächte waren lukrativ, insbesondere für Frankreich, auch wenn die Zahlungen oft unregelmäßig waren. Trotzdem erhielt Pfyffer unglaubliche Summen, mit denen er Grundbesitz, Anwesen und sogar Herrschaften erwarb. Er war Gläubiger des französischen Königs in sechsstelliger Höhe – so hoch, dass dieser sich einmal vor seinen eigenen Söldnern ins Rathaus flüchten musste.


Unangefochtene Autorität in Luzern

In seiner Heimatstadt war Pfyffer unumstritten. Er bestimmte die Geschicke Luzerns und prägte die katholische Eidgenossenschaft maßgeblich. Diplomatisch agierte er geschickt – er schloss Verträge mit Frankreich, aber auch mit dessen Gegnern. Als sich die überkatholische Partei der Guise vom französischen König abspaltete, schlug sich Pfyffer auf ihre Seite. Heinrich III. war ihm nicht radikal genug.


Der letzte Akt eines Machtmenschen

Die letzten Stunden seines Lebens verbrachte Pfyffer mit politischem Tagesgeschäft: Ratsarbeit am Morgen, Besprechungen mit Freiburger Gesandten am Nachmittag, eine geheime Unterredung am Abend. Noch immer war der fast 70-Jährige geistig wie körperlich bei bester Gesundheit. Seine dritte Ehefrau erwartete gerade das vierzehnte Kind. Neben dieser großen Familie hatte Pfyffer in Luzern vier uneheliche Kinder anerkannt. Oft war er zu längeren Zeiten in Paris und an der Front und man darf davon ausgehen, dass er dort nicht mönchischer gelebt hat.


Ein Leben voller Widersprüche

Trotz seiner Lebensweise stand Pfyffer zu seinem katholischen Glauben. Die Jesuiten, die er nach Luzern holte, waren seine engen Verbündeten. Selbst wenn sie ihn ermahnten oder seine protestantischen Gegner gegen ihn wetterten – er war überzeugt, im Dienst der Kirche gehandelt zu haben.


Ein glanzvoller Abschied

Sein Tod kam leise, durch eine schmerzlose Lungenentzündung. Hinterlassen hat er ein Vermögen: sieben prachtvolle Stadthäuser, Ländereien, Höfe und Alpenweiden, darunter Altishofen und Wyher. Sein Barvermögen, Schmuck und Edelsteine übertrafen sogar den Wert seiner Güter. Mit ihm ging eine Persönlichkeit, deren Erscheinung eher an einen Fürsten als an einen Bürger erinnerte – einer, dessen Abwesenheit ausreichte, um eine Tagsatzung zu vertagen.

Nach Pfyffers Tod 1594 blieb Luzern zwar weiterhin wichtig, doch begann der langfristige Niedergang der städtischen Selbstherrlichkeit und des Einflusses auf eidgenössischer Ebene, insbesondere durch den wachsenden Druck aus Bern, Zürich und von außenpolitischen Veränderungen im 17. Jahrhundert.


Bildbetrachtung

Der stolze "Schweizerkönig" Ludwig Pfyffer von Althishofen war auch gekleidet wie ein König. Das Hermelinfell, wie es heute nur noch der Papst und der König von England trägt,
Die Kette des Michaelsorden, der Club der reichsten Männer dieser Zeit
und den Ring vom Papst. 
Seine linke Hand auf einem Tötenschädel, als Zeichen der Vergänglichkeit.
Als wollte er sagen: Ich weiss schon, dass auch ich sterben muss.

Künstler unbekannt, Original: Schloss Heidegg, vermutlich posthum gemalt.




Quellen: Kuno Müller, Renward Cysat, Wikipedia u.a.





Von den Pfahlbauern bis zur Stadtgründung Luzerns

 Die Anfänge – Leben am Wasser

Schon vor über 5000 Jahren lebten Menschen in der Zentralschweiz. Im Wauwilermoos, unweit von Luzern, wurden Pfahlbauten entdeckt, die auf etwa 4300 v. Chr. datiert werden. Auch Luzern selbst dürfte sehr alt sein: Bei Bauarbeiten für das ewl See-Energiezentrum im Jahr 2020 wurden Spuren einer Siedlung gefunden, die rund 3000 Jahre alt ist – etwa aus dem Jahr 1000 v. Chr.

Pfahlbauten wurden meist direkt am Wasser errichtet. Der Vierwaldstättersee war also schon damals ein wichtiger Ort zum Leben – vor allem wegen der reichen Fischbestände. Man geht davon aus, dass an der Stelle des heutigen Luzerns ein Fischerdorf lag, lange bevor es eine Stadt wurde.


Kelten, Römer und Alemannen

Etwa um 800 v. Chr. kamen die Kelten aus dem Osten und liessen sich in der heutigen Schweiz nieder. Später, im 1. Jahrhundert v. Chr., eroberten die Römer das Gebiet. Sie nannten die keltischen Stämme "Helvetier" und machten Helvetien zu einer Provinz des Römischen Reichs.

Luzern selbst wird in den römischen Quellen nicht erwähnt – wahrscheinlich war es damals zu unbedeutend.

Nach dem Abzug der Römer im 4. Jahrhundert n. Chr. wanderten germanische Stämme wie die Alemannen in die Region ein. Mit der Zeit vermischten sich die Alemannen mit den Helvetiern und den zurückgebliebenen Römern – daraus entwickelte sich das Volk, das später die Eidgenossenschaft gründete.


Die erste Erwähnung Luzerns

Im Jahr 840 n. Chr. taucht Luzern zum ersten Mal schriftlich auf – unter dem Namen "Luciaria" in einem Dokument des Klosters St. Leodegar im Hof. Dieses Benediktinerkloster war bereits im 8. oder 9. Jahrhundert gegründet worden und war das religiöse Zentrum der Region.


Luzerner Schilling, 1513, Folio 3r
Ein Engel erleuchtet Luzern, Luzerner Schilling, 1513, Folio 3r

Der Name Luzern hat übrigens nichts mit dem lateinischen "Lux" (Licht) zu tun – auch wenn viele diese romantische Vorstellung mögen. Viel wahrscheinlicher ist, dass der Name vom lateinischen "lucius" kommt – dem Hecht. Also: Luzern – der Ort, an dem es viele Hechte gibt.


Die Gründung der Stadt

Die eigentliche Stadt Luzern wurde wahrscheinlich zwischen 1180 und 1200 gegründet. Verantwortlich dafür waren vermutlich die Brüder von Eschenbach: Der eine war Abt des Klosters Murbach im Elsass, der andere Propst des Luzerner Klosters im Hof. Luzern und 15 umliegende Höfe gehörten dem Kloster Murbach – und es war wirtschaftlich sinnvoll, hier eine Stadt mit Markt zu gründen.

Für eine mittelalterliche Stadt brauchte es drei Dinge:

  • Eine Stadtmauer zum Schutz,

  • eine Kirche als religiöses Zentrum,

  • und einen Markt mit gesicherten Handelswegen.

Luzern lag perfekt zwischen dem Mittelland und den Alpen: Aus dem Berggebiet kamen Käse, Butter und Fleisch, aus dem Flachland Getreide und Salz – ideale Voraussetzungen für einen florierenden Markt.


Rathaus und Pfistern, Ulrich Gutersohn (1862-1946))
Die Waren wurden mit Nauen auf dem Wasserweg direkt zum Luzerner Markt gebracht.
Bild: Rathaus und Pfistern, Ulrich Gutersohn (1862-1946))

Der Markt – Herzstück des städtischen Lebens

Schon früh war Luzern ein wichtiger Handelsplatz. Die Markttage – Dienstag und Samstag – haben bis heute Bestand. Das hängt auch mit dem Wochenrhythmus der Marktfahrer zusammen, etwa aus Weggis, wo dank mildem Klima viel Gemüse angebaut wurde:

Typischer Wochenplan eines Weggiser Marktfahrers im Mittelalter:

  • Montag: Gemüse verladen, Fahrt nach Luzern

  • Dienstag: Markttag in Luzern, Rückfahrt

  • Mittwoch: Fahrt nach Flüelen, Transport nach Altdorf

  • Donnerstag: Markt in Altdorf, Rückreise

  • Freitag: Erneut nach Luzern

  • Samstag: Zweiter Markttag in Luzern

  • Sonntag: Ruhetag

Der Vierwaldstättersee diente dabei als wichtigster Verkehrsweg – schneller und einfacher als über Land.


Und der Gotthard?

Der berühmte Gotthardpass spielte bei der Stadtgründung Luzerns noch keine Rolle. Der Transitverkehr über den Gotthard entwickelte sich erst im 13. Jahrhundert – zu einem Zeitpunkt, als Luzern längst eine gefestigte Stadt war.